Ich hasse Konflikte - was kann ich tun?

Jeder geht mit Konflikten anders um. Die einen sehen eine kontroverse Diskussion als anregenden Austausch, andere als unangenehme Spannung und manche sehen sich schon mitten im Konflikt. Jeder hat seinen subjektiven Blick – und jeder Blick seine Berechtigung.

 

Wie man mit Debatten, Spannungssituationen oder Konflikten umgeht, hängt nicht nur von der individuellen Persönlichkeit, sondern auch von Erfahrungen ab, die im Laufe des Lebens mit ähnlichen Situationen gemacht wurden:

Gehörte Diskussionsfreude zum Elternhaus? Konnten eigene Standpunkte vertreten werden? Eigene Meinungen und Ideen offen formuliert? Oder wurde Abweichendes als „Harmonie-Gefährdung“ behandelt und unter den Teppich gekehrt? War „offizielle“ Einigkeit wichtiger? Und in Partnerschaften? Oder im Job: Gab es überwiegend autoritäre Chefs oder Kolleg:innen, die andere Standpunkte ablehnten? Oder gleichberechtigte Augenhöhe? Je nach Erfahrungswerten entwickelt jeder bestimmte Strategien, um Situationen für sich einzuordnen und entsprechend zu verhalten.

 

In der Konfliktforschung unterscheidet man verschiedene Konflikttypen und -stile, und damit unterschiedliche Konfliktlösungsstrategien. In den Mittelpunkt möchte ich hier diejenigen rücken, die Konflikte scheuen und alles tun, um ja nicht in einen Konflikt zu geraten oder ihn gar austragen zu müssen.

Vermeider & Flüchter, Unterordner & Nachgeber

Menschen, die Konflikten lieber aus dem Weg gehen, wählen oft (unbewusst) verschiedene Vermeidungsstrategien. Zum Beispiel, indem sie

  • eigene Konflikte ignorieren oder leugnen – „Konflikt? Nein, hier gibt es keinen Konflikt.“
  • Konflikte bagatellisieren – „So schlimm ist das doch gar nicht / Das lohnt doch gar nicht.“
  • oft nachgeben – „Tom wird sicher recht haben mit seiner Meinung.“
  • sich in ihren Wünschen und Zielen dem Gemeinwohl anpassen – „Ach, so wichtig ist mir das Thema XY gar nicht.“
  • Schwierige Gespräche mit Hilfe von Pseudo-Argumenten in die ferne Zukunft schieben – „Jaja, irgendwann werde ich mit ihr darüber reden, aber im Moment geht´s nicht, weil…“
  • auf eine Lösung von außen hoffen – „Die Chefin wird schon merken, was hier los ist und das Richtige tun.“
  • eigene Meinungen durch andere vertreten lassen – „Er kann das viel besser als ich.“
  • den Kontakt zum „Gegner“ meiden und alle möglichen Begründungen dafür finden – „Anna ist bestimmt nicht da, lieber kläre ich das mit der netten Susi.“
  • sich aus Diskussionen raushalten – „Das geht mich nichts an.“
  • mit anderen lästern bzw. höchstens Andeutungen zu vorhandenen Konflikten machen – „Hast Du gemerkt, wie Müller mich wieder unterbrochen hat im Meeting? Dieser Idiot!“

Wer wie handelt und in welchem Ausmaß, ist natürlich Typfrage, Erfahrungssache und hängt nicht zuletzt vom Gesamtbild und dem Eskalationsgrad ab – je höher eskaliert, desto extremer Haltung und Verhalten.

 

Ja, und? Was ist schlimm daran, Konflikten aus dem Weg zu gehen? Ist doch eigentlich ganz gut, wenn man nicht bei jeder Gelegenheit für schlechte Stimmung sorgt oder aus jeder Maus einen Elefanten macht.

Stimmt. Aber: Auch wenn ich Konflikte leugne, ignoriere oder sie aussitzen möchte:

Konflikte gehen nicht einfach so weg

Im Gegenteil. Entweder heizen sie sich weiter auf, weil ich durch Lästern indirekt Öl ins Feuer gieße oder weil mein Vermeider-Verhalten widerum meinen „Gegner“ auf die Palme bringt. Oder Spannungen und Konflikte verfestigen sich und bringen alles um sich herum (Kolleg:innen, Kommunikation, Arbeitsprozesse, Innovation, Motivation usw.) zum Erstarren. Und der Ärger, den ich herunterschlucken muss, braucht irgendwann ein Ventil. Oder ich schade mir langfristig gesundheitlich selbst. Auch keine Lösung.

 

Wäre es nicht viel schöner, die eigenen Flucht-Mechanismen um eine moderate Standfestigkeit zu erweitern? Immer dann, wenn sie Ihnen sinnvoll erscheint? Sie hinterher ein gutes Gefühl haben, weil Sie Ihren Standpunkten treu geblieben sind, der fordernden Kollegin endlich einmal sanft Grenzen aufgezeigt haben oder Sie aktiv ein schwieriges Gespräch angestoßen und bewältigt haben, anstatt sich fremdbestimmen zu lassen?

Sie müssen nicht gleich zum dominanten Kämpfer mutieren.

Konflikt-Resilienz & Standfestigkeit

 Ich schlage eine Annäherung in kleinen Schritten vor:

  • Beobachtung: Schauen Sie einmal, wie Sie in konflikthaften Situationen reagieren. Was passiert genau mit Ihnen? Was denken Sie? Was fühlen Sie? Welche körperlichen Signale machen sich bemerkbar? Schreiben Sie alles auf, was Ihnen dazu einfällt.
  • Differenzierung: Wie unterscheiden sich die Situationen hinsichtlich Ihres Verhaltens? Gibt es Gemeinsamkeiten? Unterschiede? Welche Situationen empfinden Sie als besonders fordernd? Welche sind weniger schlimm? Machen Sie eine Übersicht und vergeben Sie Punkte je nach Intensität. Oder denken Sie sich passende Symbole aus, die Sie entsprechend zuordnen.
  • Wünsche: Wählen Sie eine Situation aus, die Sie am wenigsten unangenehm fanden: Wie haben Sie reagiert? Und wie hätten Sie gerne reagiert? Und warum genau so? Was wünschen Sie sich für Ihr Verhalten? Was genau hat Sie davon abgehalten, genau auf diese Weise zu reagieren? Machen Sie sich Notizen.
  • Hilfsmittel: Wenn Sie das nächste Mal in eine ähnliche Situation kommen: Was könnte Ihnen helfen, so zu reagieren, wie Sie es gerne hätten? Brauchen Sie z.B. mehr Vorbereitung für ein schwieriges Gespräch? Jemand, der Sie konkret dabei unterstützen kann, z.B. im Rollenspiel? Oder ein persönliches Mantra, das Sie stärkt? Oder mehr Gewissheit über die eigenen Ziele? Schreiben Sie auch hier alles auf, was Ihnen einfällt. Jeder Gedanke, jeder Ideensplitter zählt, scheint er noch so absurd. Versuchen Sie auf 10 Punkte zu kommen. Lassen Sie sich Zeit.
  • Ausprobieren: Machen Sie einen Wahrscheinlichkeitscheck: Was würden Sie am ehesten nutzen, was eher nicht? Was sagt Ihnen spontan zu? Welcher Schritt ist am leichtesten umsetzbar? Wählen Sie einen Punkt und nehmen Sie sich bewusst vor, das nächste Mal genau das einmal auszuprobieren. Vielleicht erst einmal im vertrauten Umfeld? Jemand, der Ihnen insgesamt wohlgesonnen ist?
  • Reflexion & Lernen: Und? Was hat gut geklappt? Wie hat sich das für Sie angefühlt? Welche Haltung haben Sie dabei gehabt? Was hat nicht so gut geklappt? Was hat Ihnen gefehlt? Wie könnten Sie das ändern? Brauchen Sie weitere / andere Hilfsmittel? Unterstützer?

Machen Sie kleinschrittige Erfahrungen. Machen Sie „Fehler“. Belohnen Sie sich für Erfolge – mögen Sie Ihnen auch noch so klein erscheinen. Erweitern Sie Ihren Handlungsspielraum. Je häufiger Sie es ausprobieren, umso vielfältiger Ihr eigenes Bild, desto besser Ihre Möglichkeiten zu lernen, zu wachsen, sich zu stärken.